Welche ethischen Fragen sind bei der Beihilfe zur Selbsttötung zu beachten – und darf es sie in einem katholischen Pflegeheim geben? Darüber sprach am Donnerstagabend in Bremen der Theologe und Sozialethiker Andreas-Lob-Hüdepohl auf Einladung des Info-Zentrums AtriumKirche.
Der Berliner Wissenschaftler berät als Mitglied des Deutschen Ethikrates auch Politiker des Deutschen Bundestages. Die Abgeordneten werden in diesem Jahr rechtliche Klarheit zur Sterbehilfe schaffen, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt hat. Drei Entwürfe liegen dazu vor.
Lob-Hüdepohl sieht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „erhebliche Folgeprobleme“. Der Ethiker erklärte, derzeit gebe es in keinem Land eine so unbegrenzte Rechtslage. Voraussetzung sei, dass die Entscheidung „ernsthaft und freiverantwortlich“ getroffen würden.
Allerdings seien die meisten Suizidwünsche volatil. Etwa 95 Prozent der Suizidwilligen würden nicht freiverantwortlich entschieden, sondern zum Beispiel aufgrund psychischer Krankheiten. Aber es sei wichtig, auch auf diese Menschen zu schauen, und nicht nur auf die restlichen fünf Prozent. Es gelte immer, die jeweilige Lebenslage in den Blick zu nehmen, wenn jemand sterben wolle.
Für eine umfassende Suizidprävention mit frühzeitigen Angeboten
Ein Todeswunsch sei ernst zu nehmen. „Tabuisierung, versteckte Schuldvorwürfe und Bagatellisierung sind ein Teil, nicht die Lösung des Problems“, unterstrich Theologe. Ausdrücklich sprach er sich für eine umfassende Suizidprävention aus. Nach seiner Ansicht muss alles dafür getan werden, damit Menschen erst gar nicht in eine Lebenslage abgleiten, in der sie sich genötigt fühlen, sich das Leben nehmen zu müssen. Dies bedeute: frühzeitig Angebote zu machen, gerade wenn Menschen in Armut, Einsamkeit oder Altersarmut lebten.
Lob-Hüdepol warnte auch vor einer Verharmlosung oder gar Heroisierung der Selbsttötung. Auch der Schriftsteller Jean Améry, Verfasser des Buches „Hand an sich legen“ habe nicht – wie vielfach missverständlich angenommen werde – den Freitod verherrlicht. Vielmehr habe er die Selbsttötung als beklagenswerte Situation angesehen.
Heute eine andere Auffassung zum Sterbefasten
Einen Einblick in die Praxis gab Katrin Butt, langjährige Leiterin des Caritas-Pflegeheims St. Elisabeth in Bremen-Schwachhausen. Die Pflege hat sich nach ihrer Einschätzung geändert. Früher wurde einem Bewohner eine Magensonde verpasst, wenn er gefastet habe, um zu sterben. Heute gebe es eine andere Auffassung zum Sterbefasten, auch wenn generell die Entscheidung für das Leben stets Priorität habe.
„Man darf die Mitarbeiter nicht vergessen“, mahnte Butt. Die Pflegekräfte müssten damit umgehen, wenn sich Menschen in einem Heim das Leben nähmen. Die Einrichtungsleiterin sprach sich ebenfalls für eine umfassende Suizidprävention aus.
Propst Bernhard Stecker unterstrich in der anschließenden Diskussion, ein Suizid sei nicht allein eine Sache desjenigen, der sich das Leben nehme. Oft sei dies „brutal für das Umfeld“.
Hinweis: Wenn Sie sich vom Thema Suizid selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.